1. Bewerbungsablauf
Ca. ein Jahr vorher (spontaner wäre sicherlich auch gegangen) per Email an die sehr freundliche Sekretärin Frau Anne Van Ruysel (dirmed.sar at chirec.be). Rotationen in verschiedene Fachrichtungen der Chirurgie waren nach Wunsch möglich. Ich wurde für 6 Wochen Allgemein- und Viszeralchirurgie (Dr Christophe Bourdeaux), 5 Wochen Gefäßchirurgie (Dr Yann de Bast) und zuletzt 5 Wochen Orthopädie/Unfallchirurgie (Dr Christophe Marchal) eingeteilt. Für jeden Abschnitt hatte ich dementsprechend einen verantwortlichen Chirurgen (maitre de stage). Die Kommunikation vorab verlief reibungslos und Frau Van Ruysel hat mir meist noch am selben Tag geantwortet, auch wenn ich schon wieder irgendwelche Dokumente von ihr brauchte.
Die Clinique Ste-Anne St-Remi steht nicht auf der Länderliste des LPAs BaWü, aber sie ist sowohl von der UCL als auch von der ULB Lehrkrankenhaus. Die Anerkennung von Seiten der Uni Freiburg war insofern recht unkompliziert.
Man sollte die Fristen für die Anmeldung in KOOR (Erasmus für Praktika) im Blick haben, die Webseite ist dann sehr übersichtlich und zeigt immer, was man als nächstes machen muss. KOOR hat meinen Antrag für die Clinique Ste-Anne St-Remi auch gleich beim ersten Mal angenommen.
2. Allgemeine Infos zur Clinique Ste-Anne St-Remi
Die Clinique Ste-Anne St-Remi gehört zur CHIREC-Gruppe mit privatem Träger. Sie befindet sich in Anderlecht. Der OP ist eher etwas älter, aber mit teils guten neuen Geräten. Das PJ ist unbezahlt und es gibt auch kein Geld für Dienste. In der Allgemeinchirurgie wurde von mir erwartet, einen Wochenendrufdienst zu übernehmen. Das Mittagessen kostet 2 Euro. Da die Klinik privat ist, mieten die Chirurg*innen sozusagen immer den OP-Slot vom Krankenhaus und machen peri- und posoperative Versorgung immer selbst und sehr stark personenbezogen. Es gibt nur einen OP-Trakt für die ganze Klinik, sodass ich ziemlich selbstbestimmt auch in andere operative Fächer schnuppern und dort auch mithelfen durfte (HNO, Gyn, Plastische, Auge, Uro, Neurochirurgie). In der Allgemeinchirurgie hat mich Dr Bourdeaux einmal gebeten, ihm in Delta (größte Klinik Brüssels) zu assistieren. Dort macht er im Schwerpunkt Leberchirurgie, was auch sehr spannend war und danach kann man ihn auch fragen, wenn er es nicht selbst vorschlägt.
3. Sprache
In der Klinik wird hauptsächlich Französisch gesprochen, gute Kenntnisse sind unverzichtbar. Da viele Mitarbeitende jedoch nicht Mutersprachler*innen sind, ist das Verständnis und die Geduld bei einer Sprachbarriere aber hoch. Die Flämischen Ärzt*innen sprechen unter sich teils Niederländisch, das muss man dann aber nicht verstehen ;). In Brüssel allgemein kommt man mit Englisch auch sehr weit.
4. Alltag PJ in der Chirurgie
Den Großteil meines PJs habe ich im OP verbracht. Einblicke in die Stationsarbeit und Begleitung bei Visiten sowie Ambulanz-Gesprächen waren möglich, aber nicht die Haupttätigkeit. Die Tage begannen Mo-Fr um 7:45 im OP und dauerten bis 16-17 Uhr, selten auch mal bis nach 18 Uhr. Während der Sommerferienzeit waren die Tage dann teils auch mal etwas kürzer und gegen Ende des Tertials konnte ich auch besser einschätzen an welcher Stelle ich gebraucht wurde und wo ich vielleicht auch mal gehen oder mir etwas anderes anschauen konnte. Fehltage zu nehmen sind kein Problem.
An der Klinik gibt es keine fest angestellten OTAS, sodass es zu den Aufgaben der Studierenden gehört, die Instrumente anzureichen. Das fand ich toll, so konnte man das Hintenrum Management lernen und hatte auch immer was zu tun. Und keine Sorge, die Begriffe lernt man schnell. Ich durfte auch mal Intubieren und immer mal wieder Urinkatheter legen.
5. Team
Das Team war unglaublich freundlich, international und ich habe mich nach einiger Zeit wirklich gut integriert. Die belgischen Studis kommen immer für 5 Wochen, sodass ich 3 Rotationen von ihnen miterlebt habe. Mit den Studis habe ich auch Mittag gegessen, rumgealbert und auch in der Freizeit mal etwas unternommen.
Im OP sind mehrere sogenannte „Triple Zéros“ angestellt, die die Aufgabe der Assistent*innen übernehmen (sie sind fertig mit dem Studium und wollen Chirurgie machen, haben aber meistens im ersten Jahr den Concours noch nicht geschafft und arbeiten dann ein Jahr zur Überbrückung bis zum nächsten Concours). Sie managen die Studis und teilen sie ein – ich habe mich wirklich gut mit ihnen verstanden und das Verhältnis war ziemlich auf Augenhöhe. Weiterbildungsassis gab es nicht. Es gibt eine deutsche Chirurgin (Dr Carola Dahrenmöller) – das war nett, sie wusste dann gleich, was meine Rolle ist und konnte mich auch unterstützen.
6. Lehre
Insgesamt fand ich die theoretische Lehre von Seiten der Klinik eher mau. Wöchentlich gab es ein Seminar, bei dem auch ich einen Vortrag zu einem Thema meiner Wahl halten sollte. Die belgischen Studis hatten teilweise einen Tag wöchentlich Unterricht an der Uni - da durfte ich auf Nachfrage auch mal mitgehen.
7. Anrechnung
Vor Ende des Tertials sollte man unbedingt noch in Brüssel alle Unterschriften einsammeln, die man für die Anerkennung seitens der Uni und des LPA und Erhalt der letzten Rate des Erasmus-Stipendiums braucht. Unter anderem fordert das LPA BaWü eine Immatrikulationsbescheinigung einer Uni ODER die Unterschrift auf einem Vordruck (sog. Anhang 2) vom Dekan (Doyen) einer Universität, von der die Clinique Ste-Anne St-Remi Lehrkrankenhaus ist. Das kann man mit der ULB, Frau Kristela Babic (kristela.babic at ulb.be), oder andere klären.
8. Leben in Brüssel
Anderlecht ist nicht das allerbeste Viertel. Man sollte z.B. lieber in dem Studiviertel Ixelles wohnen. Die Miete von WG-Zimmern beträgt ca 600-700 Euro/Monat. Gefunden habe ich meine WG über eine Facebook-Gruppe. Die Klinik kann man entweder mit dem Fahrrad (allerdings hat Brüssel viele Hügel und der Verkehr ist chaotisch) oder mit der Bahn (Linie 5 Station Jaques Brel) erreichen. Es gibt ein Studi-Jahresticket für 12 Euro, das sollte man sich gleich am Anfang organisieren, allerdings darauf achten, alle erforderlichen Zettel und ein Passbild ausgedruckt mitzubringen. U.a. braucht es einen von einer europäischen Uni unterschriebenen Wisch. Den habe ich an das Freiburger Foreigin Office geschickt und von dort auch gleich am nächsten Tag unterschrieben zurückbekommen.
9. Freizeit
Durch lange anstrengende Tage und dann noch einen recht langen Fahrweg war ich in den ersten Wochen ziemlich platt. Nach etwas Einlebezeit und als in den Sommerferien die Tage etwas kürzer waren, konnte ich dann auch besser vom Brüssler Freizeitangebot profitieren. Auf den ersten Blick wirkt Brüssel nicht außergewöhnlich, allerdings mochte ich die Stadt immer mehr und finde sie sehr lebenswert.
Zu empfehlen sind:
- Die Parks: insb. Parc du Cinquentenaire, Bois de la Cambre
- Bars: Boza-Rooftopr, Rooftop 58, Delirium, Madame Moustache, de Valeras
- Museen: Margeritte, Beaux-Arts, Bozar
- Meine persönlichen Highlights: Buchhandlung Tropismes, Piscine d’Ixelles (ältestes Schwimbad in Brüssel in ccolem Stil), Pommes der Maison Antoine
- Wochendausflüge nach Gent, Brügge, Antwerpen, ans Meer (Fahrradmitnahme immer pauschal 4 EUR auch im IC möglich)
10. Fazit
Insgesamt war es ein forderndes Tertial, in dem ich aber wirklich viele technische Skills im OP lernen durfte und auf Eigeninitiative hin auch viel verschiedenes Sehen und machen durfte. Es war für mich spannend Belgien zu entdecken, der Freizeitwert aber vielleicht etwas geringer als in Südfrankreich oder Italien. Fürs Französische hat sich das Tertial auf jeden Fall gelohnt. Die Orga war machbar.