PJ-Tertial Chirurgie in Kantonsspital Aarau (9/2021 bis 12/2021)

Station(en)
Thoraxchirurgie, Gefässchirurgie, Kinderchirurgie, Notaufnahme, Viszeralchirurgie, Orthopädie
Einsatzbereiche
Poliklinik / Ambulanz / Sprechstunde, Notaufnahme, OP, Station
Heimatuni
Nicht angegeben
Kommentar
Um es kurz zu fassen:
Das Chirurgie-Tertial in Aarau war die reinste Enttäuschung und ich würde uneingeschränkt jedem deutschen PJler davon abraten.


Langfassung:
Nach einer frühzeitigen Bewerbung, gefolgt von etlichen organisatorischen Formalitäten, konnte ich im September 2021 meine Stelle antreten. Ich ging mit hohen Erwartungen und viel Motivation in die Schweiz. Insbesondere da man immer wieder von selbstständigem Arbeiten, guter Work-Life-Balance und toller Lehre hört.
Diese Erwartungen wurden trotz (anfänglich) großem Engagement meinerseits im Nu zunichtegemacht.

Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, die man an einer Hand abzählen kann, hat keiner der Ärzte Lust auf Teaching. Fragen werden zwar beantwortet, aber von sich aus erklärt einem fast niemand etwas. So kam es immer wieder zu unangenehmen Situationen, in denen ich einfach nur auf einem Hocker neben dem Arzt saß, während dieser alleine die Sprechstunde machte. Pflegepraktikumsfeeling par excellence. Möglicherweise ist dies dem Umstand geschuldet, dass die schweizer Medizinstudenten keine Famulaturen machen und in ihrem PJ das erste Mal so richtig praktisch im Klinikum arbeiten. Das würde die Situation zwar erklären, besser macht es sie aber natürlich nicht. Wer sich also für ein Tertial am KSA entscheidet, der muss sich auf nicht enden wollende Sprechstunden mit Voyeurismus-Charakter und verdammt ungemütliche Hocker einstellen.

Feste Aufgaben gibt es für Unterassistenten praktisch keine, weshalb man im Endeffekt nur auf Station rumsitzt oder in ewigen OPs Haken und Klappe halten darf. Die Blutentnahmen und das Nadel-Legen übernehmen in der Schweiz die Pflegekräfte. Die Ärzte müssen es nicht nur nicht machen, sie können es auch nicht.
Stationäre Aufnahmen wie sie in Deutschland ablaufen, habe ich so nicht erlebt. Die Patienten, die zur elektiven OP kommen, werden 2 Minuten begrüßt und das wars dann auch schon. Also auch hier keine Aufgabe, kein Lerneffekt.
Hervorzuheben ist einzig das Nähen in der Notaufnahme. Das darf man als PJler regelmäßig. Anamnese und KU bei Notfallpatienten hingegen darf man kaum selbst machen. In der Regel läuft man dem Dienstarzt hinterher und schaut ihm zu wie er banalste Untersuchungen, die man in Deutschland den Famulant aus dem 5. Semester machen lässt, selbst durchführt. Die Ärzte scheinen keine Sekunde darüber nachzudenken, dass man als PJler bzw. Unterassistent etwas lernen möchte und Ihnen gerne unter die Arme greift.
Hin und wieder, wenn die Sterne gut stehen (oder die Notaufnahme einfach so dermaßen überlaufen ist, dass gar nichts mehr geht), darf man dann doch mal alleine zu einem einfachen Patienten gehen. Allerdings ist es Usus, dass in so einem Fall der Assistenzarzt kurz danach ebenfalls zum Patienten geht und exakt dieselben Fragen nochmal stellt und exakt dieselben Untersuchungen erneut durchführt. Was man selbst erhoben hat, spielt also keine Rolle und man kommt sich vor wie ein Idiot. Als wäre das nicht genug, führt dann der diensthabende Oberarzt dieselben Untersuchungen ein drittes Mal durch und stellt auch ein drittes Mal dieselben Fragen. Ein junger, sonst gesunder Patient mit akutem rechtsseitigem Unterbauchschmerz wird so binnen 60 Minuten dreifach anamnestiziert und sein Abdomen dreifach penibelst auf McBurney, Lanz und co. getastet, weil der Oberarzt dem Assistenzarzt nicht glaubt und der Assistenzarzt nicht dem Unterassistenten. Und was ist die Konsequenz aus dieser dreifachen Fummelei? Es wird ein einfaches Abdomen-Sono verordnet. Wow.

Was bei der Entscheidung, das Chirurgie-Tertial in der Schweiz zu verbringen, definitiv beachtet werden sollte, sind außerdem die sogenannten Pikett-Dienste. Das ist nichts anderes als Rufbereitschaft. Der entsprechende Dienst beginnt um 8:00 morgens und läuft dann parallel zum regulären Präsenzdienst, d.h. bis zum normalen Feierabend um 16-17 Uhr ändert sich in der Regel erstmal nichts. Man wäre telefonisch als Hakenhalter abrufbar, wird jedoch normalerweise nicht angerufen, da es in den betreffenden Abteilungen tagsüber ja andere Unterassistenten gibt. Der Pikett-Dienst geht dann nach Feierabend jedoch weiter und erfordert ein Eintreffen im OP-Saal binnen 30 Minuten zu jeder Zeit bis der Dienst am nächsten morgen um 8:00, also nach 24 Stunden, durch Übernahme durch den nächsten Unterassistenten endet. Was man in der Bereitschaftszeit macht, bleibt einem selbst überlassen. Der Radius, in dem man sich bewegen kann, ist aber natürlich nicht sonderlich groß, da man nach spätestens 15-20 Minuten das Klinikum erreicht haben sollte, um es rechtzeitig in den OP-Saal zu schaffen. Egal, ob um 20:00 oder um 3:30 nachts inmitten eines süßen Traums (vom Ende des Tertials am KSA).
Diese Dienste an und für sich sind zwar anstrengend, allerdings auch interessant und später ja sowieso meist Teil des ärztlichen Alltags. Das Problematische an ihnen ist jedoch die nicht vorhandene Kompensation danach. Unabhängig davon, was in der Nacht zu tun war, hat man am nächsten Morgen pünktlich zur Frühbesprechung anzutreten und muss dann wieder seinen ganz normalen Tagdienst wahrnehmen. Die Pikett-Dienste werden also einfach zusätzlich in die reguläre Arbeitswoche eingeschoben und könnten im schlimmsten Fall dazu führen, dass man einen normalen Tagdienst macht, anschließend bis zum Beginn des nächsten Tagdienstes durchgängig im OP steht und dann nahtlos wieder einen normalen Tagdienst macht. Für diesen Fall, der während meiner Anwesenheit zum Glück nie eingetreten ist, hat sich das KSA jedoch eine ganz besondere Nettigkeit überlegt: steht man von 24 bis 6 Uhr morgens durchgängig (!) im OP, dann darf man nach Rücksprache mit dem zuständigen Oberarzt (!) um 10:00 statt um 8:00 den Tagdienst beginnen. Wie großzügig.
Als wäre diese nicht vorhandene Kompensation nicht schon genug, kommt es häufiger vor, dass man mitten in der Nacht angerufen wird und bei der OP praktisch gar nichts tun kann/muss/darf, allerdings trotzdem 1-2 Stunden am Tisch steht. Faden führen, Faden abschneiden, einen Haken halten. All das sind Dinge, die auch die gut bezahlten OTAs, die ja sowieso am Tisch stehen, kurz übernehmen könnten. Da man als Unterassistent jedoch lediglich einige wenige Franken Nachtzuschlag bekommt (und auch nur für die tatsächlich anwesende Zeit), kostet man die Klinik im Endeffekt bei einem nächtlichen Einsatz kaum mehr als zwei Packungen Nahtmaterial. Also was soll der Geiz? "Schwester Regula, rufen Sie den Unterhund an!"

Kommt man dann nach einer wenig erholsamen Nacht, unterbrochen durch 3 Stunden Anwesenheit als 3. Assistent (= 4. "Operateur") bei einer explorativen Laparoskopie (!!!), vergütet mit ungefähr einem Mittagessen und einem Getränk, früh morgens gerädert zur Frühbesprechung, um anschließend gewissenhaft seine Aufgaben zu erfüllen, nur um sich zu erinnern, dass man ja gar keine Aufgaben hat, also den gesamten Tag wieder nur rumistzen und nichtstun wird, dann sehnt man dem Ende des Tertials noch mehr entgegen als ohnehin schon...
Bewerbung
Ca. 18 Monate
Unterricht
1x / Woche
Inhalte
Fallbesprechung
Patientenvorstellung
Tätigkeiten
Röntgenbesprechung
Chirurgische Wundversorgung
Botengänge (Nichtärztl.)
Patienten untersuchen
Notaufnahme
Briefe schreiben
Dienstbeginn
7:00 bis 8:00 Uhr
Dienstende
16:00 bis 17:00 Uhr
Studientage
Gar nicht
Tätigkeiten
Aufwandsentschädigung / Gehalt
Mittagessen regelmässig möglich
Kleidung gestellt
Gehalt in EUR
1500 CHF
Gebühren in EUR
500 CHF

Noten

Team/Station
4
Kontakt zur Pflege
4
Ansehen des PJlers
6
Klinik insgesamt
5
Unterricht
5
Betreuung
6
Freizeit
5
Station / Einrichtung
3
Gesamtnote
5

Durchschnitt 4.87