PJ-Tertial Chirurgie in Hospital Escuela Oscar Danilo Arguello (11/2019 bis 3/2020)

Station(en)
Allgemeinchirurgie, Orthopädie, Unfallchirurgie
Einsatzbereiche
Notaufnahme, Poliklinik / Ambulanz / Sprechstunde, Station, OP
Heimatuni
Nicht angegeben
Kommentar
Motivation
Nachdem ich 2017 eine Famulatur in Malawi absolviert hatte war mir klar, dass ich auf jeden Fall auch einen Teil des Praktischen Jahres im Ausland verbringen will. Ich würde später gerne zumindest eine Zeit lang in der Entwicklungszusammenarbeit arbeiten. Deshalb wollte ich so viele Erfahrungen wie möglich sammeln in Ländern, in denen es vielleicht nicht die gleiche Ausstattung gibt wir hier in Deutschland, und so viel wie möglich lernen über das Leben und die Medizin dort.
Schnell fiel dabei die Wahl auf ein Lateinamerikanisches Land, da ich mir erhoffte, dass das Gesundheitssystem ein wenig besser aufgestellt ist als in afrikanischen Ländern und ich mithilfe von Spanisch direkt mit den Patienten kommunizieren können würde.
Nicaragua ist das ärmste Land Mittelamerikas. Dennoch ist die Gesundheitsversorgung in dem sozialistischen Land für jeden kostenlos. Die Mischung fand ich sehr interessant: einerseits eingeschränkte Möglichkeiten und die damit verbundenen Problemen und dennoch ein inklusives Gesundheitssystem, in dem man niemanden wegschicken muss, weil er arm ist.


Visum
Eine Einreise nach Zentralamerika ist für Touristen aus Deutschland für 90 Tage ohne Visum möglich (Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua bilden einen zentralamerikanischen Visumsverbund). Ich kenne einige, die sich das Visum während dieses Zeitraums um 30 Tage haben verlängern lassen, ansonsten muss man eben einmal kurz nach Costa Rica, Mexiko oder Belize. Oder sonstwohin natürlich. Oder eine kleine Strafe pro Tag zahlen. Insgesamt ist das aber sehr unkompliziert.


Gesundheit
In Nicaragua ist das staatliche Gesundheitssystem kostenlos, auch für Touristen. Ich selbst würde im Krankheitsfall nicht in das staatliche, kostenlose Krankenhaus gehen, sondern in eines der privaten, da wissen aber auch alle Hostelbesitzer Bescheid, was das Beste ist. Ich bin nie richtig krank geworden, auch wenn es eine kleine Dengue Epidemie gab, als ich da war. Und natürlich die üblichen Lebensmittelvergiftungen und Reisediarrhöen. Insgesamt ist das Essen auf der Straße aber recht gut verträglich, soweit ich das mitbekommen habe.
Sicherheit
Nicaragua gilt als das sicherste Land Mittelamerikas. 2018 gab es eine schwere politische Krise und viele Proteste gegen den regierenden Präsidenten Daniel Ortega, die brutal niedergeschlagen wurden: circa 400 Demonstranten und Beteiligte wurden von regierungsnahen Truppen erschossen. So wurde jegliche Opposition unterdrückt und der Präsident ist noch immer im Amt. Zu Beginn meines Aufenthaltes war die Stimmung deshalb ein wenig angespannt, es waren neue Proteste angesagt (die dann jedoch nicht stattfanden). Für 2021 sind Wahlen geplant. Ich kann mir vorstellen, dass die Lage deshalb wieder ein wenig unsicherer werden könnte.
Straßenkriminaltät gibt es jedoch so gut wie nicht. Nachts sollte man nicht nach Hause laufen, was bei 70 Cent für eine Taxifahrt nicht schwerfällt. Wenn man sich an die üblichen Sicherheitsvorkehrungen hält und ein wenig gesunden Menschenverstand mitbringt ist es hinreichend sicher.
Was sehr störend sein kann sind die ständigen Pfiffe und Sprüche der Männer, die ein ziemliches Machofrauenbild haben. Zweimal kam es hier tatsächlich zu sehr unangenehmen und übergriffigen Situationen, die jedoch niemals gefährlich für mich waren.
Insgesamt habe ich mich die meiste Zeit sicher und wohl gefühlt!
Geld
Die offizielle Währung ist der nicaraguanische Cordoba. Ein Euro waren circa 37 Cordoba, als ich dort war. Außerdem kann man in vielen Unterkünften und touristischen Orten mit US Dollar bezahlen. Cordoba und Dollar kann man beides an Geldautomaten abheben. Geldautomaten gibt es in jeder größeren Stadt.
Nicaragua ist ein recht günstiges Land, ich habe zwischen 5 und 10 Dollar pro Nacht für die Unterkünfte bezahlt, ein großes Mittagessen gibt es für knapp 2$, ein Bier für 1,50$ und meine supertolle Spanischlehrerin Ileana hat mir für 5$ die Stunde super guten Einzelunterricht gegeben!
Sprache
Spanisch Einzelunterricht ist ein gutes Stichwort, tatsächlich ist es schon sehr nützlich, Spanisch zu sprechen. Meine Spanischkenntnisse waren anfangs eher theoretisch existent und ich hab mich ein wenig schwer getan, im Krankenhaus viel zu verstehen. Das besserte sich allerdings schnell dank Ileana und meinen Kollegen! Man muss es also nicht gut können, sollte aber zumindest willig sein, etwas Spanisch zu lernen. Dann kann man auch im Krankenhaus viel mehr mitmachen und lernen. Aber wie ich gelernt habe kann man auch mit Google Translator weitkommen in der Anamnese und die Nicaraguaner sind sehr hilfsbereit!
Verkehrsbindungen
In Nicaragua gibt es vorallem Chickenbusses: alte umgebaute Schulbusse, die leider vom Platz her für amerikanische Kinder oder mittelamerikanische Durchschnittserwachsene reichen, jedoch nicht für normale Europäer... Dafür ist es sehr billig und immer ein Erlebnis!
Unterkunft
Ich habe in León in einem Airbnb gewohnt, das Al Sole hieß. Das war wirklich sehr sehr schön, der Besitzer Piero ist sehr nett, es gab tolle andere Mitbewohner (fünf andere deutsche Studenten) und zwei sehr süße Hunde! Außerdem alles, was man braucht und einen Limettenbaum, der für den einen oder anderen Nica Libre bepflückt wurde (schmeckt phänomenal viel besser frisch vom Baum!).
Literatur
Ich hatte mich nicht groß eingelesen. Welches Buch mir aber sehr gut gefallen hat ist “Bewohnte Frau” von Gioconda Belli: Darin schreibt die nicaraguanische Autorin relativ autobiographisch und sprachlich sehr sehr schön von ihrer Zeit in der Nicaraguanischen Revolution der 70/80er Jahre.
Außerdem hatte ich ein Buch namens “Zentralamerika” von der Zentrale für politische Bildung, von dem ich aber leider nicht mehr weiß, wie der Autor heißt.
Mitzunehmen
Ich war vor dem Aufenthalt eine Weile mit Handgepäck reisen und hatte daher außer einem Stethoskop nicht viel dabei. Man kann sich dort vor Ort einen Kittel kaufen und OP Klamotten (diese werden nicht gestellt und auch nicht gewaschen). Dazu hatte ich wie die örtlichen Chirurgen auch Turnschuhe an (auch im OP).
Tätigkeitsbeschreibung und fachliche Eindrücke
Zunächst kam ich jeden Morgen um 7 Uhr in die Frühbesprechung. Diese läuft ähnlich ab wie bei uns, wie viele Aufnahmen gab es, wer ist gestorben, was gab es für Probleme und so weiter. Danach bin ich meist in den OP. Es war eigentlich möglich, überall mitzugehen. Die erste Zeit war ich viel bei einer sehr netten plastischen Chirurgin. Sie hat vorallem Lappenplastiken gemacht, außerdem gibt es eine Sprechstunde, in der Muttermale, Zysten etc entfernt werden. Hier kann man schnell viel helfen und selbstständig arbeiten. Ansonsten gibt es viele Cystektomien und Appendektomien, alles offen. Hier kann man erstmal Haken halten. Wenn man sich einbringt kann man sicherlich in einer Nachtschicht auch mal was selbstständig operieren. Es gibt auch einen Chirurgen, der etwas Urologie macht und außerdem Endoskopien, und sowieso ist alles recht durchmischt von den Fachrichtungen und wenn einen interessiert mal zu sehen kann man sicherlich zuschauen. Zum Beispiel gibt es auch eine sehr große Gynäkologie, bei deren Operationen man dabei sein kann. Ich war aber auch bei einem neurochirurgischen Eingriff dabei. Den haben auch die Allgemeinchirurgen gemacht... Es ist also ein breites Spektrum und ein bisschen was von allem. Dafür auf einfachem Niveau, das muss einem klar sein. Es gibt keine Geräte für Laparoskopien, es gibt kein MRT oder CT (dafür müssen die Patienten nach Managua gefahren werden), nachts auch kein Sono. Das Patientenaufkommen ist recht gering, ich denke weil viele Patienten lieber in die besser ausgestatteten privaten Kliniken gehen. Die Behandlung in staatlichen Kliniken ist dafür gratis.
Da der OP auf fröstelige 16°C gekühlt wird (Nicaraguaner lieben frieren, das tun sie sonst nämlich nie :D) bin ich mittags meist gegangen und hab zum Beispiel in der Notaufnahme mitgeholfen.
Hier kann man sehr selbstständig arbeiten (wenn man halbwegs Spanisch spricht). In meiner ersten Nachtschicht (an meinem vierten Tag) gab die Ärztin mir gleich mal einen Bogen und meinte, der Patient ist jetzt deiner, schreib einfach auf, was du untersucht hast und was du empfehlen würdest. Die Patientin hatte nur eine Mittelohrentzündung, aber es war schon erstmal etwas kaltes Wasser, die Anamnese auf Spanisch durchzuführen! Die Patienten sind aber sehr nett und haben mir sehr geholfen. Und es ist auch nicht schlimm, mal einen Fehler zu machen! Alle sind wirklich sehr nett. Meist sind auch noch andere Studenten da, die in ihrem PJ sind und schon komplett selbstständig Patienten betreuen. Es war aber auch zum Beispiel eine Studentin aus dem dritten Semester da, die schon sehr routiniert Patienten erstmal alleine aufgenommen hat. Es ist aber immer immer jemand da, der einem helfen kann. Und aufgrund des geringen Patientenaufkommens ist es auch immer möglich, nachzufragen und Dinge erklärt zu bekommen. Am Eingang mit zu triagieren ist auch spannend und empfehlenswert, mal auszuprobieren.
Die Ärzte und Studenten haben den Ablauf: Fünf Tage in der Woche von 7 bis 16 Uhr plus alle 4 Tage noch eine Nachtschicht dazu. Das heißt wenn sie Nachtschicht haben sind sie 36 Stunden da. Das habe ich selbst aber nie mitgemacht. Da nachts das Patientenaufkommen so ungefähr ab Mitternacht sehr gering ist und es danach schwieriger wird, noch sicher nach Hause zu kommen, würde ich ruhig auch um Mitternacht gehen. Insgesamt ist es aber auf jeden Fall empfehlenswert, mal eine Schicht mitzumachen, da erstens mehr Patienten kommen (viele arbeiten erst fertig oder warten darauf, dass ihre Männer nach Hause kommen, um sie zum Krankenhaus zu bringen) und man zweitens recht selbstständig arbeiten kann. Außerdem war es immer recht witzig mit den Assistenzärzten und Studenten.
Insgesamt hatte ich das Gefühl, weniger zu lernen als ich daheim vielleicht gelernt hätte und würde das nächste Mal nur zwei Monate statt vier Monate einplanen. Dafür sind die Ärzte sehr entspannt, lassen einen viel machen und ausprobieren, haben viel Zeit, erklären gerne und waren auch sonst sehr nett und haben mich zum Beispiel zu ihren Geburtstagen, ins Kino, zur Weihnachtsfeier oder einfach zu sich nach Hause eingeladen.
Erschreckend waren manchmal die hygienischen Zustände (zum Beispiel wenn die Decke schimmelt oder Tauben über die Station laufen) und die eingeschränkten Möglichkeiten. Und manchmal auch die etwas gleichgültig distanzierte Einstellung zu den Patienten.

Land und Leute
Nicaragua ist ein sehr schönes Land. Es gibt überall Vulkane, teils aktiv, teils nicht. Viele kann man besteigen und in faszinierende, stinkende, brodelnde Lava schauen. Die ist erstaunlich laut! Man kann in kristallklaren Kraterseen schwimmen und sich von Schwefeldämpfen betäuben lassen. Der Nicaragua See ist einer der größten Süßwasser Seen der Erde und die Insel Ometepe in ihm kommt doch ziemlich nahe an das ran, was ich mir unter Paradies vorstelle! Mit Wäldern, Alleen und saftigen Wiesen und Feldern rund um zwei Vulkane. Man kann mit dem Roller um die Insel brausen, was zwar nicht ganz ungefährlich, aber sagenhaft schön ist! Dazu gibt es super gutes billiges Essen und Schokolade! Dazu unbedingt El Pital besuchen, ein Hostel direkt am See, wo sie sagenhafte Schokolade herstellen und außerdem ein kleines Paradies samt Schaukel am See aufgebaut haben. Es gibt einige Permakultur Initiativen auf Ometepe, wer Interesse an nachhaltiger Landwirtschaft hat. Überhaupt gibt es eine recht aktive alternative Szene! Der Markt Samstags auf der Landbrücke zwischen beiden Inselteilen fühlt sich an wie ein kleines Utopia, mit lauter leckerem Essen, Kindern, die im See zwischen trinkenden Pferden spielen, Trommlern, und sogar einem kostenlosen Selbstverteidigungskurs!
Ich habe mich selten so nah am Paradies gefühlt! :D
Ein anderes Highlight ist Granada, eine sehr sehr schöne koloniale Stadt direkt am Nicaragua See. Von hier aus kann man oben erwähnte Lava und Kraterseen sehen, außerdem muss man unbedingt auf den Markt, wo alles quirlig durcheinander ist. Freitags gibt es einen legendären Rave in einem Baumhaus... Danach kann man sich herrlich in den Hostels entspannen und dank kostenlosem Fitnessstudio auch mal wieder ein bisschen Sport treiben!
Auch die Pazifikküste ist wunderschön, es gibt überall schöne Strände und fast überall kann man auch sehr gut surfen (Surfstunden sind auch billig). Im Norden um Matagalpa ist es angenehm kühler, man kann durch grüne Wälder und Kaffeeplantagen stapfen (Selva Negra kann ich sehr empfehlen, vorallem eine der dortigen Kaffee- oder Farmtouren!). An der Grenze zu Honduras wird es wieder heißer, um Esteli herrscht steppiges Cowboyland vor. Im Norden gibt es allerdings zur Zeit (seit der oben erwähnten Krise) kaum Tourismus. Insgesamt gibt es im Land sehr viel weniger Tourismus als vor der Krise. Dadurch ist es oft angenehm ruhig, manchmal aber auch ein wenig traurig, vorallem wenn man hört, wie die Einheimischen dadurch leiden. Was aber ja nur ein Grund mehr ist, nach Nicaragua zu reisen!
Einen kleinen Dämpfer erfuhr meine Begeisterung für Nicaragua durch den ständig vorherrschenden Lärm und vorallem durch den Umgang der Männer mit Frauen. Wie eingangs schon erwähnt kam es nie zu wirklich gefährlichen Situationen, doch es ist schon sehr nervenzehrend auf Dauer, wenn man permanent angestarrt und angesprochen wird auf wirklich respektlose Art und Weise.
Trotzdem ist es ein wunderschönes Land und auf jeden Fall eine Reise wert! Und die meisten Nicaraguaner sind sehr nett und hilfsbereit.
Fazit
Alles in allem hatte ich eine wunderschöne Zeit in Nicaragua! Es gab zwar einige Tiefen und auch traurige Momente, vorallem aufgrund der Proteste vor zwei Jahren und der passageren Unterforderung im Krankenhaus. Dafür aber auch ganz viele tolle Momente, ich habe sehr tolle Menschen kennen gelernt und viele schöne Eindrücke und Erfahrungen gesammelt. Es ist schon ein großes Plus, wenn man nach getaner Arbeit noch ans Meer fahren kann oder mit seinen Mitbewohnern in der Sonne sitzen und frische Limetten genießen kann! Da Nicaragua recht klein ist kann man an den Wochenenden viel sehen und erleben. Ich will später nicht in der Chirurgie arbeiten und wollte vorallem Nähen und Wundversorgung lernen, sodass das niedrigere Niveau der sonstigen Chirurgie kein Problem für mich darstellte. Außerdem habe ich meine Spanischkenntnisse sehr verbessern können, einen Salsakurs gemacht und viel über Nicaragua und Mittelamerika insgesamt gelernt!
Bewerbung
Vorbereitung
Leider verlief die Bewerbung zunächst ein wenig schleppend. Nach drei Monaten und ungefähr acht Anfragen antwortet die Koordinatorin Dr. Ninoska Delgado (ndelgado70@hotmail.com) an der Universität in León schließlich doch noch. Ich musste noch ein paar Dokumente einreichen. Dabei war es auch ok, dass diese auf Englisch waren, obwohl glaube ich niemand an dieser Universität wirklich Englisch spricht...
Da niemand auf weitere Rückfragen antwortete war ich bis zuletzt ein wenig unsicher, dass ich das Tertial wirklich in León absolvieren können würde. Eine Woche vor Beginn des Tertials kam ich in León an und dachte mir, wenn alles schief geht und ich das Praktikum nicht machen kann könnte ich eventuell immer noch zurück nach Deutschland. Nachdem ich zwei Tage auf die Organisatorin (Dr. Delgado) gewartet hatte war dann aber doch alles kein Problem. Im Endeffekt hätten sie mich wahrscheinlich das Praktikum auch machen lassen, wenn sie davor nichts davon gewusst hätten.
Unterricht
Kein Unterricht
Tätigkeiten
Botengänge (Nichtärztl.)
Chirurgische Wundversorgung
Notaufnahme
Poliklinik
Patienten untersuchen
Mitoperieren
Dienstbeginn
7:00 bis 8:00 Uhr
Dienstende
Vor 15:00 Uhr
Studientage
1x / Woche frei
Gebühren in EUR
50$ pro Woche

Noten

Team/Station
3
Kontakt zur Pflege
4
Ansehen des PJlers
1
Klinik insgesamt
4
Unterricht
5
Betreuung
1
Freizeit
1
Station / Einrichtung
4
Gesamtnote
3

Durchschnitt 3.07