Poliklinik / Ambulanz / Sprechstunde, OP, Notaufnahme, Station
Heimatuni
Erlangen
Kommentar
Das Tertial in Florianopolis war wirklich toll.
Die ersten 5 Wochen war ich in der Uniklinik, dem HU. Dort sah der Tagesablauf wie folgt aus: morgens um 7 war Start. Tanzt bloß nicht um 7 an, ihr werdet allein sein ohne Zugang zu den Computern und Däumchen drehen bis die ersten Studenten so gegen halb 8 eintrudeln. Also inoffizieller Start: 7:30. Dann bekommt man 1-2 Patienten zugeteilt, die man aufnimmt bzw. untersucht. Um 8 Uhr (plus minus eine halbe Stunde, eher plus als minus) ist dann Visite mit ALLEN. Da kommt echt das halbe Krankenhaus mit, von der Pflege über Lopopäden, Physios, Ernährungsberatern, den Sozialarbeitern, den Assistenz- und Chefärzten und dem Papst persönlich. Man sollte schnell sein, wenn man einen Platz im Zimmer ergattern will. Dann stellt jeder seine Patienten vor und es wird mit allen besprochen wie es weitergehen soll. Die Untersuchungsbefunde und das weitere Vorgehen wird dann dokumentiert, dann ist man eigentlich schon fertig für den Vormittag. 2x/Wochen gab es auch kleine Seminare zu chirurgischen Themen (zusammen mit den brasilianischen Studenten, die gerade in dem Krankenhaus sind. Diese bleiben immer 2 Wochen im HU, danach kommt dann wieder eine andere Gruppe). Nachmittags ist man 3x/Woche noch in der Ambulanz und kümmert sich entweder um OP-Aufklärungen, -Voruntersuchungen und -Vorbesprechungen; OP-Nachbetreuung oder die „kleinen OPs“. Das war mit der beste Teil im HU, dort durfte man nämlich in Zweierteams mit einem anderen Studenten eigenständig die kleinen OPs durchführen. Die meisten Patienten kamen zur Entfernung von Lipomen oder Nävi. Man machte sich selbst ein Bild, besprach das Vorgehen dann mit einem Assistenten der für uns zuständig war und führte den Eingriff dann komplett von der Lokalanästhesie bis zur Schlussnaht durch (abwechselnd mit dem anderen Studenten). Obwohl es nur kleine Eingriffe sind, ist es ziemlich spannend, dass man alles komplett selbst machen darf.
Die restliche Zeit zwischen den Kursen verbrachte ich im OP. Dort waren meistens noch gefühlte 200 Assistenzärzte, sodass man meistens nichts sah. Da konnte man schon eher mal bei der Anästhesie mitmachen, chirurgisch war es das höchste der Gefühle mal eine Klemme oder die Leber bei einer laparoskopischen Cholezystektomie hochzuhalten. Wenns gut lief durfte man dann noch 2-3 Stiche nähen und Ende.
Ich kam dann zufällig mit einem Arzt ins Gespräch, der nur tageweise am HU operierte und für onkologische Patienten zuständig war. Ich bekundete mein Interesse an der Onkologie und er nahm mich noch am selben Tag mit ins CEPON (Centro de Pesquisas Oncológicas), wo ich die nächsten 5 Wochen verbrachte.
Dort war es einfach nur grandios. Nicht nur das Team war unfassbar herzlich wie eine kleine Familie, es gibt dort auch normalerweise keine Assistenzärzte, sodass man als Student direkt deren Status einnehmen konnte. Ich durfte bei jeder OP assistieren wenn ich wollte und das ging weit über die Schlussnaht und Haken halten hinaus. Am Ende habe ich unter Aufsicht auch kleine Hauttumoren entfernt und einen Port selbst implantiert.
Am Anfang bekam ich direkt einen Plan wann welcher Arzt wo eingeteilt ist (und natürlich deren Nummern, wie immer) und konnte dann je nach persönlichem Interesse auch auf die Station oder die Ambulanz mit. Dort hatte ich immer eine 1 zu 1 Betreuung und wenn man nachfragte, bekam man extrem viel erklärt.
Die Rotation dorthin kam eher zufällig zustande und war nur so semioffiziell, wenn man Interesse bekundet und nachfragt, kann man da aber sicher hin, was ich nur jedem ans Herz legen kann.
Den Rest der Zeit verbrachte ich in der Unfallchirurgie im Hospital Governador Celso Ramos, da im HU so gut wie keine Unfälle behandelt werden. Ich war leider nur in der Notaufnahme und nicht im OP, wenn man fragt, kann man aber bestimmt auch mal in den OP schauen. Eine gute Rotation zum Ende, weil man wieder sehr viel selbst machen darf, es aber mitunter auch mal stressig werden kann. Wieder mit den brasilianischen Studenten des 10. Semesters zusammen nahmen wir Patienten auf, von Abszessspaltungen bis hin zum initialen Bodycheck von Patienten, die nach Verkehrsunfällen vom Notarzt gebracht wurden.
Meistens kümmerten wir uns aber um die Wundversorgung nach Verkehrsunfällen, von der Säuberung über die Naht bis zum Verband, und Abszessspaltungen.
Insgesamt ein sehr praktisches Tertial. Eine richtig strukturierte Lehre gibt es zwar nicht (außer den 2 Seminaren im HU, die aber sehr häufig ausfielen), man hat aber immer einen Ansprechpartner, den man fragen kann und soll und im HU und Celso Ramos auch die anderen Studenten, die oft auch ziemlich auf Zack sind und genau wissen was sie da tun. Es versteht sich wahrscheinlich von selbst, dass man ohne Portugiesischkenntnisse bei 90% der Tätigkeiten komplett aufgeschmissen ist. Die Studenten und Ärzte sprechen zwar meist ein recht passables Englisch, bei den Patienten wird’s dann oft aber schon eng. Wenn man also wirklich was lernen und eigene Patienten betreuen will, kommt man um Portugiesisch nicht herum und sammelt so ganz nebenbei noch ordentlich Sympathiepunkte bei den Kollegen und Patienten.
Apropos Kollegen: die Hierarchie hier ist flach bis non-existent, man bekommt schon man die Nummer vom Chef in die Hand gedrückt mit der Bitte, sich doch per Whatsapp zu melden wenn man bei dieser oder jener OP dabei sein will oder wenn man eine Mitfahrgelegenheit in die Klinik bräuchte. Da kommt schon mal der Chef in seinem Privatauto vorbei und nimmt einen mit zur Arbeit.
Nachnamen gibt es nur auf dem Papier. Es bedarf etwas Gewöhnung, dass man hier sogar die Patienten duzt und von ihnen geduzt wird, dennoch ist das Ansehen der Ärzte hier sehr sehr hoch und die Patienten vertrauen auf die Empfehlungen. Man kann noch so häufig betonen, dass man Student ist, man wird immer mit Doutor/Doutora+Vorname angesprochen werden und als vollwertiger Arzt wahrgenommen. Hin und wieder kann man aber auch mal um ein gemeinsames Foto für Instagram gebeten werden, auch das gehört hier dazu ;)
Außerdem ist die Stimmung zwischen den Kollegen sehr familiär, man wird sofort in die Gemeinschaft integriert, findet immer ein Grüppchen für ein gemeinsames Mittagessen (oder für ein Bierchen (bzw. einen Caipi) nach Feierabend.
Urlaub bekommt man auch sehr unkompliziert und wenn man mal das Wochenende um einen Tag verlängern will, um das Land zu entdecken, wird man geradezu animiert, das Tertial doch voll auszukosten. Gehen kann man fast immer wann man will, meistens bin ich aber tatsächlich freiwillig noch länger geblieben, weil es einfach sehr spannend war.
Mittagessen gab es im HU und CEPON übrigens umsonst, im HU eigentlich nicht als Student, aber das habe ich erst ganz am Ende erfahren und man hat mich auch nie gefragt, wenn ich dort mit den anderen Ärzten ankam. Kleidung wird nur im OP gestellt und wenn man cool sein will und auf den Bildern, die dort ständig von jedem für Instagram gemacht werden Eindruck schinden will, hat man seine eigene Haube. Sonst gibt es die aber auch dort, für die Ambulanz und die Station muss man seinen eigenen Kittel mitnehmen.
Ansonsten ist auch der Freizeitwert von Floripa sehr hoch, der Wohnungsmarkt sehr entspannt (Wohnung unbedingt erst vor Ort suchen, es gibt genug, zB. bei classificados.inf.ufsc.br und so kauft man nicht die Katze im Sack), die Lebenshaltungskosten gering (bei mir stand der Real allerdings gerade auch extrem schlecht) und das Inselleben fantastisch, zumindest wenn man etwas mit Surfen, kilometerlangen Sandstränden und wunderschönen Wanderwegen an der Küste anfangen kann.
Ein absoluter Glücksgriff und wirklich empfehlenswert!
Bewerbung
Die Bewerbung war sehr unkompliziert. Meine Uni hatte eine Partnerschaft mit der UFSC und so habe ich 6 Monate vorher nur ein Motivationsschreiben, ein Empfehlungsschreiben des Dekans (die haben da meist Vorlagen, einfach eine Mail hinschreiben, dann bekommt man das normalerweise), eine Passkopie und eine Studienverlaufsbescheinigung hingemailt. Einen Monat später kam schon die Bestätigung und ein paar Infos, wann und wo es genau losgeht und wo ich mich melden muss.
Bei allen Anliegen konnte man das SINTER (Sekretariat für internationale Beziehungen) immer problemlos erreichen und bekam schnell eine kompetente Antwort.